Trauern erfordert mehrere Phasen - und jede Phase hat ihre eigenen Aufgaben.
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Phasen und Aufgaben des Trauerns
Trauer verstehen
Nachdem die schweiz-amerikanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross Ende der sechziger Jahre anhand von Interviews fünf Phasen des Sterbens beschrieben hatte, wurde dieses Stufenmodell in der Folgezeit auch auf die Trauer angewendet. Yorick Spiegel, Verena Kast und viele anderen beschrieben Trauer als eine – mehr oder weniger lineare - Abfolge unterschiedlicher Etappen. In seinem Buch „Anders trauern – anders leben (Kaiser Taschenbücher, Bd.31, 2001)“ unterscheidet Waldemar Pisarski nach Yorick Spiegel vier Stufen der Trauer:
Stufen der Trauer von Waldemar Pisarski nach Yorik Spiegel
In dieser Phase, die meist nur einige Stunden oder wenige Tage nach der Todesnachricht anhält, ist der oder die Trauernde wie erstarrt. Alles ist unwirklich, weit weg, schemenhaft. Die Nachricht übersteigt die Erlebnisfähigkeit. Verleugnung, Abwehr, völlige Teilnahmslosigkeit – all das kann ein Schutz sein, bevor sich die Erkenntnis durchsetzt: Der Angehörige ist wirklich tot.
Die folgende Zeit steht ganz im Zeichen der bevorstehenden Beerdigung. Den Trauerden bleibt wenig Zeit, sich ihrem Schmerz zu stellen. Hektische Aktivität füllt die Tage. Das bedeutet eine doppelte Kontrolle: Einerseits muss der Trauernde sich beherrschen und seine Gefühle unter Kontrolle hallen, um durch die Tage zu kommen. Andererseits übt der ganze Stress eine Kontrolle über ihn aus. Vorherrschend ist ein Gefühl der Unwirklichkeit, der Trauernde ist gleichzeitig betroffen und beobachtet alles wie aus weiter Ferne. Die Beerdigung selbst ist ein besonders schmerzlicher Akt dieser Phase, weil im Anblick des Sargs die Unausweichlichkeit des Todes deutlich wird.
Diese Phase ist die schwierigste und schmerzlichste, aber auch die wichtigste. Regressiv heißt zurückgenommen. Das Leben scheint langsam innezuhalten, der oder die Trauernde lebt in Zurückgezogenheit und braucht alle Kraft und Energie für sich selbst. Alle äußeren Dinge fallen schwer. Gefühle erschüttern, Trauernde schrecken vor Entscheidungen und Aufgaben zurück, sie habe panische Angst davor, verlassen zu sein oder nicht mehr geliebt zu werden. So kehren sie zu Verhaltensweisen zurück, die schon bei ähnlichen Empfindungen in der Kindheit geholfen haben: weinen, klagen, nicht-aufstehen-wollen, suchen.
Diese Phase ist gekennzeichnet durch Tage großer Beherrschung und Disziplin und Tage des Sich-Gehen-Lassens. Trauernde suchen nach Zuwendung und sind gleichzeitig reizbar und verletzlich. Die Tage sind gefüllt mit Erinnerungen an den Verstorbenen, mit Sehnsucht, Wut, Selbstvorwürfen und Fragen über das Leben nach dem Tod. Es ist wichtig, in dieser Phase nicht gegen seine Gefühle zu leben
Adaptiv heißt: sich wieder öffnen. Der Trauernde erfährt, dass nicht alles aus ist, dass das Leben geht weiter. Auch jetzt gibt es noch Rückschläge, Verzweiflung und Angst kehren wieder zurück. Doch solche Einbrüche klingen ab und gehen vorüber. Ein unbefangener Umgang mit dem Besitz des Verstorbenen – aufräumen, wegwerfen und verschenken - ist jetzt möglich. Neben das Gefühl des Verlustes tritt ein Gefühl der Dankbarkeit für alles, was schön, gut und aufregend war. Das Idealbild des Verstorbenen verblasst, der Verstorbene wird mit all seinen Vorzügen und Mängeln angenommen. Die Welt der Trauernden weitet sich wieder, Treffen mit Freunden und die Pflege alter Hobbys sind wieder möglich. Am Ende des Trauerweges kann die Erkenntnis stehen, dass die Trauer reicher gemacht hat. Die Trauerarbeit nähert sich ihrem Ende, wenn sich der Mensch darauf besinnt, neu zu verantworten, wer er ist und wie er leben möchte.
Ein anderes Phasenmodell vertritt die Psychologin Verena Kast. Sie orientiert sich an den „Phasen des Sterbens“, von Elisabeth Kübler-Ross. Diese hatte bei ihren Interviews mit Sterbenden Ende der sechziger Jahre verschiedene Stufen des Abschiednehmens vom Leben unterschieden. Außerdem nimmt Verena Kast Erkenntnisse der analytischen Psychologie auf. Sie unterscheidet in:
Phasen des Sterbens nach Verena Kast
In den ersten Tagen nach der Todesnachricht wird der Verlust verleugnet, oder der Trauernde empfindet keine Emotionen. „Es darf nicht wahr sein! Das muss ein Irrtum sein!“, ist die vorherrschende Reaktion. Oft hilft es den Angehörigen, den Toten zu sehen und ihn zu berühren, um seinen Tod zu begreifen. Wie lang das Leugnen dauert, hängt unter anderem davon ab, wie unerwartet und plötzlich der Todesfall eingetreten ist.
Konnte der Trauernde zunächst kaum Emotionen empfinden, so brechen sie jetzt in voller Intensität auf. Von einem Todesfall Betroffene erleben ein Durcheinander von Traurigkeit, Wut (gegen sich selbst, aber auch gegen Dritte, gegenüber dem Verstorbenen oder gegen Gott), Angst, Einsamkeit und Ruhelosigkeit, aber auch Dankbarkeit und Freude. Manchmal leiden sie auch unter Schlafstörungen.
Auch Schuldgefühle können jetzt als besonders belastend empfunden werden und das schlechte Gewissen, dem Verstorbenen gegenüber etwas versäumt zu haben. Andere suchen nach den Schuldigen für den Todesfall.
Wie lang diese Phase dauert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Vor allem die Beziehung, die Trauernden zu den Verstorbenen hatten, und die Möglichkeit des Abschiednehmens – in Zorn oder in Frieden - spielen dabei eine Rolle. Starke Schuldgefühle über ungeklärte Probleme können lähmen und zur Depression führen, während das Zulassen von Schmerz, Wut und Zorn oft als heilsam und befreiend empfunden wird.
Wie kann eine Verbindung zum Verstorbenen hergestellt werden, wie kann ich ihn spüren, obwohl er nicht mehr da ist? Diese Fragen werden jetzt vordringlich. Trauernde suchen bedeutungsvolle Orte auf – das Zimmer, einen gemeinsamen Erinnerungsort, ein Wohnhaus – sie träumen intensiv von dem Verstorbenen, manche geben ihm einen Platz am Tisch oder sprechen mit dem Verstorbenen. Erinnerungsstücke, Fotos und der Friedhof spielen jetzt eine große Rolle.
Die Gefahr dieser Phase liegt darin, sich in eine Art Pseudoleben mit dem Verstorbenen zu verkriechen und sich immer mehr von den Lebenden zu entfernen. Auf der anderen Seite birgt sie die Chance, noch ungelöste Probleme – durchaus auch unter Zorn und Tränen – aufzuarbeiten und den Verstorbenen als innere Person zu integrieren.
Der Verlust des Toten wird nun akzeptiert, die Wirklichkeit ohne ihn kann bewusst wahrgenommen. Der Trauernde beginnt wieder, seine eigenen Beziehungen aufzunehmen und sein Leben zu gestalten. Neue Beziehungen, neue Rollen, neue Verhaltensmöglichkeiten und Lebensstile, die vielleicht bisher nur innerhalb der Beziehung möglich waren, können jetzt auch für die Person allein möglich werden. Die Person ist sich bewusst, dass alles Einlassen auf das Leben eine Grenze im Tod findet. Idealerweise ermutigt sie aber die Erfahrung, einen schweren Verlust bewältigt zu haben, dazu, sich auf neue Bindungen einzulassen.
Auch wenn das Phasenmodell für das Verständnis der Trauer sehr wichtig war und bleibt, so wird es heute doch auch kritisch betrachtet, weil es, so Kritiker, der unterschiedlichen Gestalt der Trauer nicht gerecht werde. Stattdessen werden, wie beispielsweise von Kerstin Lammer, Aufgaben benannt, die in der Trauer bewältigt werden. Traueraufgaben sind Lernprozesse, die den Trauernden beeinflussen und bewegen können. Das ist ein Vorgang, der nicht immer oder unbedingt abgeschlossen werden kann. Bei den Traueraufgaben wird nicht mehr über Schritte gesprochen als chronologische Abläufe, die der Trauernde nacheinander zu gehen hat. Sie geben dem Trauerprozess einen bestimmten Rahmen, in dem der Trauernde seinen Trauerweg gehen kann.
23.09.2020
Anne Lüters
Aufgabenmodell nach Kerstin Lammer
T od be-greifen
R eaktionen Raum geben und sie ausdrücken
A nerkennung des Verlusts äußern
U ebergänge meistern
E rinnern und erzählen
R essourcen nutzen
Quelle: Vgl. K. Lammer, Trauer verstehen: Formen, Erklärungen, Hilfen, Neukirchen-Vluyn 2004.